Schon immer blind (32. Kalenderwoche)

Gedanken zur Woche

Schon immer blind. Wenn in der Bibel erzählt wird, wie Jesus einen blinden Menschen heilt. Dann geht es nicht um die Augen im Kopf, sondern um die Augen des Herzens. Wer wieder Lebensmut und Lebensfreude haben will, geht ja selten zum Augenarzt, sondern hat hoffentlich eine beste Freundin oder einen Liebsten oder eine gute Nachbarin. Oder findet eine offene Kirche.
Blind geboren. Leben ohne Farben und Formen, ohne Gesichter, ohne Augenblicke, nicht einmal aus der Erinnerung. Und sofort kommt das, was dann immer gerne kommt: Warum, wieso, weswegen. Ursachenforschung. Schuldzuschieben. Die Eltern haben gesündigt. Oder er. Niemand wird zufällig blind geboren. Einfach so.
Blind geboren. Eine Finsternis, aus der man etwas machen kann. Eine Finsternis, aus der Gott noch etwas machen kann. Nicht umsonst wird der Herr der Welt, das Licht der Welt genannt. Diese Finsternis ist keine Menschensache, sondern die ist Gottes Sache.
Jesus spuckt in den Sand, macht eine Pampe daraus, und schmiert das Ganze dem Blinden auf die Augen. Und jetzt geh zum Teich Siloah und wasche dich. – Sein Weg. Sein Ziel. Er findet den Teich Siloah, wäscht sich und – kann sehen. Aber niemand glaubt ihm das, dass er sehen kann. Lange Rede kurzer Sinn, niemand will mehr mit ihm zu tun haben. So einer macht Angst. Und Jesus auch gleich dazu: so einer ist suspekt.
Das Licht der Welt. Das Licht des Lebens kann ich mir nicht selber geben. Das ist Gottes Sache.
Der blindgeborene Mensch. Er ist kein Kind mehr. Er kennt die Gefahren. Er weiß wie die Welt sich dreht und wie sie tickt. Der Mensch weiß, er wird sie nicht ändern können. Er wird niemandem etwas abnehmen können, selbst den Liebsten nicht. Die Welt ist Welt. Und das Leben ist nicht Freizeitpark mit Brause. Er ist ein Kind dieser Welt, ein Kind seiner Zeit, ein Kind seiner Gesellschaft, ein Kind seiner Familie, seiner Eltern und Herkunft. Er ist der, der er geworden ist im Laufe seines Lebens. Er ist auch das, was er aus sich gemacht hat. Und er ist auch das, was er nicht geschafft hat, nicht gekonnt hat, was für ihn nicht möglich war. Alles, das ist er.
Doch am Teich Siloah gehen ihm die Augen auf: Ich bin ein Mensch von der Erde. Aber zugleich bin ich auch ein Kind Gottes. Die Augen werden ihm aufgetan: Meine Würde, meinen Wert habe ich nicht aus dem, was ich geschafft habe und was ich geleistet habe – oder auch nicht. Mein Wert, der Sinn meines Lebens liegt allein darin, dass Gott mich liebt. Im Himmel liegt der Sinn meiner Existenz und meines Lebens nicht in mir selbst und schon gar nicht in dem, was ich tue. Mein Sinn ist, dass Gott mich liebt. Und das zu erleben ist Licht der Welt, ist mehr als Glück.
Kind Gottes. Du bist frei, zu wählen, ob du dein Leben annehmen will oder auf ein anderes warten willst. Du bist frei zu wählen, ob du auf diese Welt schimpfen oder ob du sie mitgestalten willst. Die herrliche Freiheit der Kinder Gottes, wo der Blick nicht mehr fixiert ist auf die Suche nach einem Schuldigen. Wo man die Schönheit und die Schöpfung Gottes in der Begegnung mit andern Menschen wieder sieht. Wo man mit dem Namen Gottes was anfangen kann. Das Licht der Welt scheint jetzt.

Pastorin Susanne Ackermann
St. Johannis Dannenberg
32. Woche