Ein kleines Licht am 27. Juni

Mantel

Samstag ist der Tag für ein musikalisches kleines Licht. Der folgende Song ist ein Stück von der Berliner Band Dota rund um die Sängerin Dota Kehr. Dota Kehr ist studierte Medizinerin, die aber schon früh auch als Straßenmusikerin auftrat.

Seit 2003 hat die Band Dota (oder früher auch Dota und die Strandpiraten) 13 Alben aufgenommen. Die Musik ist bisweilen von Jazz und Bossa Nova beeinflusst. Man kann die Band aber auch der Singer-Songwriter-Szene zurechnen.

Die Texte sind oft zeitkritisch, manchmal humorvoll. 2019 gewann Dota den Deutschen Kleinkunstpreis in der Rubrik Channson, Musik, Lied.

Das folgende Stück „Mantel“ ist aus dem Jahr 2016 von dem Album „Keine Gefahr“:

Haben Sie eine Ahnung, worum es in diesem Lied geht? Ich kenne den Song wirklich schon eine ganze Weile und höre ihn gern. Aber so richtig begriffen, habe ich ihn bislang noch nicht.

Dieser Text ist zumindest offensichtlich nicht zeitkritisch und humorvoll ist er auch nicht. Geheimnisvoll, rätselhaft würde ich ihn nennen. Hintergründig und zweideutig. Er benutzt eine poetische, bildhafte Sprache, die vieles andeutet und unerklärt lässt.

Dota Kehr ist als Ich-Erzählerin unterwegs. Dabei hat sie einen äußerlich nicht weiter beschriebenen Begleiter oder einer Begleiterin an ihrer Seite. Vielleicht ist es ein Mensch oder ein Tier oder ein märchenhaftes Fantasiewesen.

Die beide sind unterwegs durch eine fremde, unwirkliche Welt. Sie scheinen auf der Flucht zu sein oder sich irgendwie durchschlagen zu müssen. Manches erinnert an eine zerstörte, postapokalyptische Welt. Sinnbild dafür sind die wechselnden, unheilvollen Erscheinungen am Himmel. Andererseits erscheinen den beiden die sich vergleichsweise normal benehmenden, geschäftigen, vernünftigen Stadtbewohner aus der ersten Strophe besonders fremd.

In Wahrheit aber sind die Sängerin und vor allem ihr geheimnisvoller Begleiter die Anderen und die Fremden.

Das wird deutlich vor allem im Refrain. Wenn der Begleiter und die Begleiterin den Mund öffnet und spricht, dann tut sie das in fremden Sprachen, die niemand versteht. Was er oder sie sagt, bleibt geheim. Warum sie lacht und lacht und lacht, kann sich niemand erklären.

Doch die Reaktion darauf ist Angst. Die Zuhörerinnen und Zuhörer blicken verstört. Die Sängerin versteckt ihren Begleiter im Mantel. Jetzt kann ihn niemand mehr hören, die Situation entspannt sich.

Die Reise geht weiter mit der zweiten Strophe. Wieder spiegelt der Himmel den Aufruhr und die Bedrohung wider. Die Szenerie auf der Waldlichtung mit den tanzenden, barbusigen und Bier trinkenden Hexen mutet skurril an. Bedrohlich sind aber eher die Sirenen aus den nahegelegenen Stadt. Auf der Lichtung könnte man noch verweilen.

Doch wieder bringt im Refrain das Reden in fremden Sprachen, das Geheimnis und die Unfähigkeit, sich zu verständigen, Angst und Verunsicherung. Der Begleiter muss wieder in den Mantel und die Reise wird fortgesetzt.

Die dritte Strophe beginnt nach dem gewohnten Muster. Die Lage am Himmel spitzt sich zu. Die beiden reiten – wieder mystisch und märchenhaft – auf Schweinen davon. Doch diesmal wird die Reise ungewollt beendet. Die beiden werden verhaftet. Und obwohl die Erzählerin weiter Herrin der Lage ist und die Flucht organisiert, ist auf einmal alles anders.

Die letzte Refrain nimmt zwar die Worte und die Bilder der vorherigen auf, aber er variiert sie entscheidend: Diesmal ist es der geheimnisvolle Begleiter, der die Worte nicht versteht. Und er lacht nicht, sondern er weint. Diesmal ist er verängstigt und verstört. Diesmal wir er, dass er nicht gehört werden kann. Aber die Möglichkeit dazu, den Mantel, in dem man sich verstecken kann, gibt es nicht mehr.

So endet das Lied mit dem flehentlichen Blick und dem Wunsch, ungehört zu bleiben.

Noch mal: Haben Sie verstanden, worum es in diesem Lied eigentlich geht? Ich nicht so wirklich. Ich vermute auch, dass es für diese eigenartigen Bilder und Szenen keine einfache „Übersetzung“ gibt. Man kann diesen Songtext nicht Zeile für Zeile entschlüsseln. Er bleibt mystisch, geheimnisvoll, aber auch poetisch und geistreich und ein bisschen versponnen.

Was mir als Theologen aber auffällt, ist eine Parallele zu einer biblischen Geschichte. Beziehungsweise der Kontrast zu einer bekannten biblischen Geschichte. Es ist das Wunder von Pfingsten aus dem zweiten Kapitel der Apostelgeschichte. Auch da jeden Menschen auf einmal und unerklärlich in fremden Sprachen und keiner kann sich das erklären. Zumindest ein Teil der Zuhörer entsetzt sich, ist verstört, bekommt es mit der Angst zu tun.

Aber dieses Wunder dient letztlich der Kommunikation und der Verständigung über alle Grenzen hinweg. Menschen aller Völker werden in ihrer Sprache angesprochen. Die Gute Botschaft verbreitet sich über alle Schranken und Barrieren hinweg. Und so bildet sich als Konsequenz an diesem Tag eine Gemeinde. Eine Verbindung von Menschen, die sich vorher fremd gewesen sind.

Pfingsten ist eine Erfolgsgeschichte, wie in dem Lied „Mantel“ letztlich von einem Scheitern gesungen wird. Was dort gesagt wird, bleibt unverstanden. Der geheimnisvolle Begleiter kann sich zuerst nicht mitteilen und versteht sich am Ende selbst nicht mehr. Der Mantel, mit dem das Problem gemildert, zugedeckt oder vielleicht sogar geheilt werden könnte, ist verschwunden. So endet das Lied traurig, wenn nicht sogar verzweifelt.

Vielleicht gibt der Zeitpunkt der Veröffentlichung einen Hinweis. Das Album ist wie gesagt im Jahr 2016 erschienen. 2015 gelangte eine große Zahl Flüchtlinge nach Deutschland. Der gute Wille und die Euphorie, diese Menschen quasi wie von selbst in Deutschland zu integrieren, wurde durch die Ereignisse in der Kölner Silvesternacht erschüttert. Auf das von vielen Bürgerinnen und Bürgern geglaubte „Wir schaffen das“ folgten Zweifel und Ernüchterung und bei einer radikalen Minderheit auch Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Auf eine Phase gelingender Kommunikation kamen vermehrt Beispiele für Sprach- und Verständnislosigkeit.

Die Gruppe Dota spricht sich eindeutig gegen Rassismus und gegen eine zurückhaltende Flüchtlingspolitik aus. Sie tut dies auf dem selben Album ganz ausdrücklich in dem Lied „Grenzen“.

Aber steckt in dem Lied vielleicht auch die Befürchtung, dass die Verständigung zwischen den neuen und den alten BewohnerInnen dieses Landes ernste und schwerwiegende Probleme auftauchen können? Geht es nicht auch darum, dass wir uns gegenseitig verstehen und miteinander sprechen müssen? Ist das nicht die Voraussetzung dafür, etwas zu schaffen?

Die Flüchtlingsbewegungen auf unserer Welt stellen eine große Herausforderung da und sie bedeuten auch sehr ernste Probleme. Die Abschottung in einer Festung Europa und das Ertinkenlassen von Tausenden von Menschen im Mittelmeer ist keine Option für ein menschliches Europa. Bloßes Hoffen und Appellieren aber auch nicht. Hilfe und Integration bedeuten Arbeit. Nächstenliebe macht Mühe. Vielleicht brauchen wir dafür einen Mantel, unter dessen Schutz ein Schonraum entsteht. Von dem behütet wir Übergänge schaffen. Vielleicht brauchen wir ein Wunder oder den Glauben an ein Wunder, damit wir alles schaffen und damit alles gut wird.

Aber was wäre denn auch die Alternative? Der Song endet an einer traurigen Stelle. Es geht um Verzweiflung. Um ein Scheitern, vielleicht auch eine Sackgasse. Aber wenn auch das Lied zu Ende ist, ist es die Geschichte doch noch lange nicht.

Die Sängerin ist eine findige Frau. Sie findet, was sie zum Überleben braucht in dunklen Kellern und Schächten. Steile Wege strengen sie nicht an. Sie kann auf Schweinen reiten, Auswege aus Gefängnissen finden. Ihr wird auch etwas einfallen, selbst wenn der Mantel verloren ist.

Uns allen wird gemeinsam etwas einfallen. Wenn wir mutig sind und Probleme lösen wollen, anstatt sie bloß zu beklagen. Oder statt weitere zu schaffen. Denn Angst löst keine Probleme. Angst ist das Problem. Miteinander reden hilft.

Hier ist noch mal der Songtext.

Mantel

Der Himmel raucht und die Wolken bluten
Unser Wagen bleibt stehn, wir gehn weiter zu Fuß
Durch eine fremde Stadt aus Stein, wo die Straßen sich neigen
Staub steigt auf, wir suchen in den Kellern und Schächten
Nach Proviant und einer Unterkunft
Menschen gehn geschäftig umher und schlagen um sich
Mit den Säbeln der blanken Vernunft


Und du öffnest den Mund
Und sprichst mit anderen Stimmen in anderen Sprachen
Und was du sagst ist geheim
Dich kann keiner verstehn und dann lachst du und lachst
Du hast ihnen Angst gemacht
Und sie gucken verstört
Komm ich versteck dich im Mantel und geb acht,
Dass dich bloß keiner hört
Dass dich bloß keiner hört
Dass dich bloß keiner hört

Der Himmel tobt und die Wolken grollen
Wir ziehen weiter, die Hügelkuppen hinan,
Erreichen die Lichtung durch schwankende Bäume
Es strengt uns nicht an
Mit nackten Brüsten tanzen da die Hexen um das Feuer
Und trinken dabei große Mengen Sternburger Pils
In der Ferne heulen Sirenen und die Stadt erwacht,
Aber wir können noch bleiben, wenn du willst

Und du öffnest den Mund
Und sprichst mit anderen Stimmen in anderen Sprachen
Und was du sagst ist geheim
Dich kann keiner verstehn und dann lachst du und lachst
Du hast ihnen Angst gemacht
Und sie gucken verstört
Komm ich versteck dich im Mantel und geb acht,
Dass dich bloß keiner hört
Dass dich bloß keiner hört
Dass dich bloß keiner hört

Der Himmel fällt und die Wolken fliehn
Wir reiten auf Schweinen durch die Nacht davon
Dann werden wir angehalten,
Verhaftet und mitgenommen
Blanke Kacheln, komm mit durch den langen Gang,
Dann hinten die Treppe hinunter, hinaus
Die Wachen sind langsam und sehr leicht bestechlich –
Ich weiß es, ich kenn mich hier aus

Und du öffnest den Mund
Und sprichst mit anderen Stimmen in anderen Sprachen
Und was du sagst ist geheim
Du kannst es selbst nicht verstehn und dann weinst du und weinst
Und ich hab den Mantel nicht mehr
Und du guckst ganz verwirrt
Deine Augen flehn mich an, denn du willst,
Dass dich bloß keiner hört
Dass dich bloß keiner hört
Dass dich bloß keiner hört

 

Das einhundertundzweite kleine Licht.

Bleiben Sie gesund oder werden Sie gesund.

Ihr Pastor Jörg Prahler.

Und hier noch mal der Song „Grenzen“, von dem ich gesprochen habe.

Und nur zum Genießen und zum Amüsieren: Rennrad.

Das “kleine Licht” erscheint jeden Abend auf der Startseite von Evangelisch-im-Wendland.de und auf der Homepage der Kirchengemeinden Damnatz, Langendorf und Quickborn. Sie können diese Andacht, diesen Impuls oder Gedanken gut in ein Abendgebet einbauen. In Damnatz, Langendorf und Quickborn läuten dazu jeden Abend, außer am Wochenende von 19.15 bis 19.20 Uhr die Glocken. Für das Abendgebet können Sie eine Kerze anzünden. Die Kerze können Sie danach um 19.30 Uhr auf ein Fensterbrett in Richtung Straße stellen. Das ist ein Zeichen der Hoffnung, dass sich zur Zeit ganz viele Menschen in Lüchow-Dannenberg gegenseitig geben.

Meine Oma hat aber gar kein Internet”? Aber du! Es ist ausdrücklich erlaubt, diese Beiträge auszudrucken, zu verschicken, zu teilen oder zu verlinken. Gebt sie gerne an alle weiter, die sich darüber freuen und vor allem an die, die sonst keine Zugang dazu hätten.

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