Ein kleines Licht am 21. Juni

von Heike Sieberns; Vikarin in Damnatz, Langendorf und Quickborn

Ein Stück des Himmels in einer Tasse

Eine gepflegte Teezeit ist mehr als eine Kaffeepause. Sie ist eine Zeremonie.

Zuerst wird das gute, weiche Wasser aus Ostfriesland gekocht und der Tee in einen Teebeutel gefüllt. Die Kanne wird heiß ausgespült, der Tee darin aufgebrüht und auf ein Stövchen gestellt.

alle Abbildungen des Beitrages: Bünting Teemuseum / Illustrator: Detlef Krause (www.kunstfuerwerbung.de)

Mit einer filigranen Kluntjezange wird nun der Kluntje in die Tasse gelegt.
Bis in die 60er Jahre kam Fadenkandis auf den Tisch. Zucker, der entlang eines Fadens kristallisiert ist. Das Ergebnis: Kandisstangen.
Neben der Zange zum Greifen des Zuckerstücks, lag deshalb noch eine kleine schmucke Kneifzange. Damit wurden die Kluntjebrocken abgekniffen.  


Nun wird der Tee eingeschenkt. Die Gastgeberin schenkt sich als erstes ein, um an der Färbung zu sehen, ob der Tee lange genug gezogen hat.

Wenn der Kandis knistert, ist der Tee heiß genug. Die Tasse wird so voll geschenkt, dass die Spitze vom Kluntje noch herausschaut. Wie ein Eisberg liegt er in der Tasse. 

 

Mit dem Sahnelöffel wird nun vorsichtig die Sahne hinzugegeben. Der Löffel wird dazu gegen den Tassenrand gekippt und gegen den Uhrzeigersinn geführt. Die Sahne läuft den Tassenrand hinunter und steigt wie Wolken wieder auf. Für mich ist dieser Moment der Höhepunkt der ganzen Zeremonie.

Ein Stück vom Himmel in meiner Tasse.
Ich kann ruhig werden und den Wolken zuschauen. Herrlich.
Diese kleinen Sahnewolken sammeln sich um die Kandisspitze und bilden eine Sahnehaube auf dem Tee.

Der Löffel, der neben der Tasse liegt, verführt geradewegs dazu, den Tee nun umzurühren. Das darf jedoch nicht passieren! Denn in der Tasse haben sich nun drei Schichten gebildet, die nicht miteinander vermischt werden sollen.

Obenauf liegt die Sahnehaube. Am Boden hat sich der Zucker gelöst. Dazwischen liegt der kräftig, herbe Tee. Der erste Schluck ist mild, der zweite bitter und der dritte lieblich süß. „Man trinkt sich ins Himmelreich“, heißt es.

Erst das Stück Himmel in meiner Tasse und dann trinke ich mich hinein. Und das auch mindestens drei mal. Denn drei Tassen sind Ostfriesenrecht, aber auch -pflicht. Das lieblich süße Himmelreich ist mir allerdings nicht geschenkt. Zuvor wird es bitter. Denn zuvor ist Gericht. Trotzdem ist das Himmelreich versprochen!

„Das Himmelreich gleich einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; und in seiner Freude geht er hin und verkauft alles, was er hat, und kauft den Acker.“ [Mt 13,44]

Jesus bringt hier auf den Punkt, was das Himmelreich ist. Es ist etwas so Wertvolles und Schönes, dass wir alles dafür geben würden. Nicht anderes können wir wollen. Dort wirklicht sich, was wir von Herzen wünschen. Dort ereignet sich mehr, als wir zu träumen wagen.

„Wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.“ [Mt 18, 3]

Wie Kinder werden. Nicht zu lange nachdenken. Unbedarft durch den Tag gehen. Einfach machen. Wir können keine Pläne schmieden, um uns die Tür zum Himmelreich zu öffnen. Wir sollen nicht abwägen und nicht zögern. Das Himmelreich wird irgendwann einfach passieren. Und dann ist es da. Aber nicht, wann wir wollen. Sondern dann, wenn wir es am wenigsten erwarten.

Wenn ich den letzten Schluck aus der Tasse genommen habe, liegt der Rest vom Kluntje noch in der Tasse. Und der kurze himmlische Moment, der süße letzt Schluck, ist schon vorbei.
Nur für einen Augenblick schien es da. Das Himmelreich. Für einen Moment.

Ein Moment, den es zu bewahren gilt. 2017 wurde die ostfriesische Teezeremonie zum immateriellen UNESCO-Weltkulturerbe erklärt.

Sollte es Sie einmal nach Ostfriesland verschlagen, lassen Sie sich einen Besuch in einer Teestube nicht entgehen. An einigen Orten, wie dem Teemuseum in Leer, wird für Sie die Zeremonie sogar zelebriert.

Zur Ruhe kommen und ein Stück vom Himmel in einer Tasse finden.

Das sechsundneunzigste kleine Licht.
Bleiben Sie behütet.
Ihre Vikarin Heike Sieberns

 

Das “kleine Licht” erscheint jeden Abend auf der Startseite von Evangelisch-im-Wendland.de und auf der Homepage der Kirchengemeinden Damnatz, Langendorf und Quickborn. Sie können diese Andacht, diesen Impuls oder Gedanken gut in ein Abendgebet einbauen. In Damnatz, Langendorf und Quickborn läuten dazu jeden Abend, außer am Wochenende von 19.15 bis 19.20 Uhr die Glocken. Für das Abendgebet können Sie eine Kerze anzünden. Die Kerze können Sie danach um 19.30 Uhr auf ein Fensterbrett in Richtung Straße stellen. Das ist ein Zeichen der Hoffnung, dass sich zur Zeit ganz viele Menschen in Lüchow-Dannenberg gegenseitig geben.

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