Predigt am 1. Sonntag nach Trinitatis

von Heike Sieberns; Vikarin in Damnatz, Langendorf und Quickborn

Eine Versicherung zum Leben

Eine Versicherung kann ich für so ziemlich alles abschließen. Einige muss ich sogar abschließen: Als Arbeitnehmer zahlt man die Sozialversicherung. Ein Auto wird mir nur zugelassen, wenn ich eine Haftpflichtversicherung habe. Und sollte ich ein Gebäude besitzen, muss ich eine Feuerversicherung dafür haben.
Diese Versicherungen greifen in Situationen, die wir uns nicht wünschen. Die Versicherung zahlt, wenn mir ein Unfall passiert ist.

Ich stehe kurz vor dem Elbtunnel. Der Hamburger Hafen ist schon in Sicht. Und um mich herum ein langsames Gedränge und Geschiebe von LKWs und PKWs. Anfahren. Bremsen. Anbremsen. Anfahren. Rums. Zu spät gebremst. Ich war abgelenkt. Und die Kofferraumklappe vor mir ist eingedellt. Die nächste Stunde wird anstrengend. Denn ich bin genervt. Die Frau vor mir ist wütend. Und die Polizei lässt auf sich warten. Wir müssen alle möglichen Daten austauschen und mit der Versicherung telefonieren.
Aber: ich muss nicht tief in die Tasche greifen. Meine Versicherung zahlt den Schaden. Der Abschlag erhöht sich nun vermutlich, aber für so einen Fall habe ich die Versicherung.
Die Versicherung greift in Situationen, die ich mir nicht wünschen, aber die trotzdem passieren können.

Dann gibt es Versicherungen, die ich nicht verstehe. Hochzeitsversicherungen zum Beispiel. Sollte irgendwas an dem großen Tag dazwischen kommen, zahlt die Versicherung alle Stornogebühren für die Location, das Catering, den DJ und was sonst so dazugehört. Natürlich ist es ärgerlich, wenn dieses große Fest ins Wasser fällt. Besonders, wenn schon alles bezahlt ist. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass die Feier ausfallen muss? Zu Zeiten von Corona bisschen wahrscheinlicher. Das durften wir grad alle erleben. Aber sonst muss schon was ganz Schlimmes passieren, dass die Feier abgesagt wird.

Und dann gibt es noch Versicherungen, die ich aufgrund ihres Namens nicht verstehe. Beim Namen „Lebensversicherung“ dachte ich mit 13, 14 Jahren, dass diese Versicherung dazu da ist, mein Leben zu versichern. Wenn also irgendwas passiert und mein Leben kann nicht normal weitergehen, dann hilft diese Versicherung. Es hat dann ein paar Jahre gedauert, bis ich verstanden hatte, dass diese Versicherung ein wenig anders funktioniert. Dass die erst dann greift, wenn das Leben vorbei ist. Und eigentlich wird da auch nicht mein Leben versichert, sondern mein Tod.

Mir würde eine Lebensversicherung besser gefallen, die ihren Namen verdient. Eine Versicherung, die mit dem Anfang meines Lebens beginnt und mir mein Leben sichert. Eine Versicherung, dass ich mein Leben leben kann. Eine Existenzsicherung. Nicht der mögliche Schaden steht im Vordergrund, wie bei dem Autounfall. Sondern: Im Fokus steht, dass der Schade gar nicht erst passieren kann. Dass die Versicherung dafür sorgt, dass ich gar nicht erst in so eine unschöne Lage komme.

Das System bei uns in Deutschland läuft derzeit anders. Wir arbeiten, damit wir unser Leben bestreiten können. Denn so ein Leben kostet Geld. Und nicht gerade wenig. Eine Freundin von mir hat nach dem Abi eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester gemacht. Ein Beruf, den sie gerne gemacht hat. Sie mochte die Arbeit mit den Kindern und Familien. Auch wenn sie da auch viele traurige Geschichten erlebt hat. Trotzdem hat sie den Beruf nicht lange gemacht. Bereits nach ein paar Jahren hat sich ihr Rücken gemeldet. Zu oft hat sie die schweren Sachen nicht richtig gehoben. Im Krankenhaus muss immer alles schnell schnell gehen. Da ist keine Zeit für so einen Schnickschnack. Erst in die Knie und dann aus dem Rücken. Ja – eine schöne Übung bei der Physiotherapie. Aber nicht im Alltag praktikabel. Das geht leider einfach an der Realität vorbei, wenn man die Arbeit für die Kollegin noch mitmachen muss. Ihre Stelle wurde einfach nicht wieder besetzt, als sie in Rente gegangen ist. Um Kosten zu sparen. „Nein, das will ich nicht machen, bis mein Rücken total kaputt ist. Und dann habe ich auch noch beschissene Arbeitszeiten und verdiene zu wenig Geld für die viele Arbeit. Da gehe ich doch lieber nochmal studieren und werde Lehrerin.“ Das hat meine Freundin damals zu mir gesagt.

Vielleicht hätte sie den Job weiter gemacht, wenn sie mit 20 Stunden pro Woche genug zum Leben gehabt hätte. Wenn sie zum Beispiel ein Grundeinkommen hätte, das jeden Monat aufs Konto kommt. Jeden Monat genug Geld, um alle notwendigen Kosten zu denken. Dann würden auch 20 Stunden pro Woche im Krankenhaus reichen. Und mit 20 Stunden würde sich vielleicht auch nicht den Rücken kaputt machen.
Gerade die Berufe mit schwerer körperlicher Arbeit werden zu schlecht bezahlt. Sie verdienen wenig Geld und müssen auch noch in Kauf nehmen, dass sie nach Jahren bleibende Schäden davontragen. Dabei arbeiten wir doch, um unser Leben leben zu können. Und nicht, um uns das Leben schwerer und schmerzhafter zu machen.

Das bedingungslose Grundeinkommen wird seit Jahren immer mal wieder diskutiert. Für einige ist es die Idee, die all unsere Probleme löst. Für andere ist es absoluter Blödsinn.
Ich bin keine Volkswirtschaftlerin. Ich habe auch nicht annähend eine Ahnung, wie so ein Staatshaushalt aufgestellt wird. Aber unter den Fachleuten, die etwas davon verstehen, gibt es Befürworter und Gegner des bedingungslosen Grundeinkommens.

Die einen sagen es geht. Dann müsste das ganze System umgestellt werden. Dann gäbe es z.B. keine Arbeitslosen- und Rentenversicherung mehr. Auch das Kindergeld nicht. Aber das würde dann auch nicht mehr gebraucht werden. Denn die Menschen wären durch das bedingungslose Grundeinkommen abgesichert. Arbeit würde dann ein besseres Image bekommen. Weil man es nicht für das Geld machen würden, sondern für die Arbeit, die wir machen. Einige Menschen lieben ihren Beruf. Sie machen ihn gerne, weil er ihnen was gibt. Und deshalb würden sie ihn auch weiter machen, auch wenn sie ein bedingungsloses Grundeinkommen hätten.
Bestimmt gäbe es auch einige, die sich auf ihre faule Haut legen würden. Aber die gibt es jetzt auch.

Und Arbeit würde vielleicht anders verstanden werden. Dann wäre Arbeit nicht mehr allein das, wofür man Geld bekommt. Sondern auch ehrenamtliche Arbeit, die dem Gemeinwohl dient, die Erziehung von Kindern und die Pflege der eigenen Eltern. Das wäre dann kein Verlustgeschäft, wenn ich mich dafür entscheide meine Eltern nicht in ein Heim zu geben, sondern zu Hause zu betreuen. 

Kritiker befürchten, dass die Zahl der Arbeitslosen steigen würde. Die Menschen hätten keinen Anreiz, arbeiten zu gehen. Und besonders die unattraktiven Berufe würde niemand mehr machen wollen. Ich würde sagen, die will auch jetzt niemand machen. Aber manche Menschen sehen sich gezwungen, auch so eine Job machen zu müssen, damit es zum Leben reicht.

Im Kleinen wurde sowas ähnliches schon ausprobiert. Ab den 60ern gab es immer mal wieder die Versuche einer Kommune. Nicht immer klappte es, aber auch nicht alle scheiterten an ihrem Projekt. Die Idee ist schnell erklärt. Niemand besitzt mehr etwas. Aber allen gehört alles. Das private Eigentum wird aufgelöst und für die Gemeinschaft gegeben. Auch der monatliche Lohn geht nicht mehr auf das eigene Konto, sondern auf das Gemeinschaftskonto der Kommune. Und dann bekommen alle aus der Kommune einen gleich großen Anteil als Taschengeld. Lebensmittel, Miete und Reparaturen werden aus der Gemeinschaftskasse gezahlt. Und wenn etwas angeschafft werden muss, wird vorher mit allen darüber gesprochen, ob diese Anschaffung sinnvoll ist. Da wird sicherlich viel diskutiert und auch mal gestritten. Aber das gehört nun mal dazu und ist in einer Familie auch nicht anders.

Die erste christliche Gemeinde soll auch sowas wie eine Kommune gewesen sein. Zumindest erzählt es die Apostelgeschichte so. „Die ganze Gemeinde war ein Herz und eine Seele. Keiner betrachtete etwas von seinem Besitz als sein persönliches Eigentum. Sondern alles, was sie hatten, gehörte ihnen gemeinsam. […] Keiner von ihnen musste Not leiden. Wer Grundstücke oder Gebäude besaß, verkaufte diese und stellte den Erlös zur Verfügung.“ Inzwischen wissen wir, das hier ein Ideal beschrieben wird, dass es in Wirklichkeit so nicht gegeben haben wird. Streit gibt es in den besten Familien und auch in den gläubigsten Gemeinden. Ein Herz und eine Seele wird auch diese Gemeinde nicht zu allen Zeiten gewesen sein. Auch ihren privaten Besitz werden nicht alle aufgegeben haben. Vielleicht wurde ein Teil gestiftet oder es gab so etwas wie eine monatliche Abgabe an die Gemeinschaft.

Trotzdem wurde dieses Idealbild hier beschrieben. Weil es zeigt, wie der christliche Idealzustand aussieht. Alle kommen zusammen. Es st genug für alle da. Niemand muss sich sorgen. Der Text beschreibt nicht, dass jemand zur Abgabe der eigenen Güter gezwungen wurde. Die Leute, die was geben, sind von der Idee überzeugt. Sie glauben daran, dass es eine gute Sache ist und geben, was sie haben. Sie tun es freiwillig. Und ich glaube, dass das ein wichtiger Punkt bei dieser Idee ist. Sobald mich jemand zu etwas zwingen will, bin ich raus. Das mache ich nicht mit. Aber wenn mich jemand überzeugen kann, ganz ohne Zwang, dann bin ich eher bereit die Sache auszuprobieren.

Ich glaube, dass der ersten Gemeinde ihr Glaube dabei hilft. Wer Besitz anhäuft, verschafft sich eine Absicherung. Für schlechte Zeiten. Die Mitglieder der ersten christlichen Gemeinde legten ihre Zukunft in die Hände Gottes. Sie hatten für sich verstanden, dass ihnen ihr Reichtum nicht hilft. Dass sie ihn teilen können und damit anderen helfen. Und trotzdem fehlt es ihnen selbst an nichts. Sie bekommen eine andere Einstellung zum Leben. Es geht nicht mehr darum, was sie noch alles haben könnten. Sondern es geht nun darum, was sie wirklich für ihr Leben brauchen. Sie brauchen eine Existenzsicherung. Eine Versicherung, dass sie ihr Leben leben können. Aber dazu gehört nicht allein Geld und Besitz, sondern auch ein Leben, das ich gerne lebe.

Zu einem guten Leben gehört, dass ich die Dinge tun kann, die ich gerne tue. Mit Menschen zusammen sein, die ich gerne mag. Mich um Sachen kümmern, die ich kann. Und das Idealbild hat einen, wie ich finde, wichtigen Punkt getroffen. Beim Geld hört für viele die Freundschaft auf. Da gibt es keinen Spaß. Ich will haben, was mir zustehen und am Ende nicht mit leeren Händen dastehen. Ich brauche die Sicherheit, dass ich morgen auch noch genug zum Leben habe. Ich will mir keine Sorgen um meine Zukunft machen.
Diesen wunden Punkt schafft die Urgemeinde aus der Welt. Denn niemand wird mit leeren Händen da stehen. Das verspricht die Gemeinde.

Das Idealbild dieser Gemeinschaft redet eigentlich nicht bloß von Geld und Besitz, sondern auch davon, dass ihr Glaube in die Tat umgesetzt wird. Nächstenliebe bedeutet Solidarität. Für andere Menschen da zu sein. Ganz unabhängig von Beruf, Alter, Geschlecht oder Hautfarbe. Dieser gelebte Glaube überschreitet Grenzen. Für eine Leben in Gemeinschaft. Das Ideal lautet nicht, dass allen alles gehört. Das Ideal lautet, dass alle ein Herz und eine Seele waren. Kein Zank, kein Streit, kein Neid. Vielleicht gerade weil es keinen Grund zur Sorge gab. Weil genug für die Zukunft da war. Das ruhige Gefühl, dass mir nichts fehlen wird. Nicht jetzt und auch in Zukunft nicht.

Ich hoffe, dass wir das im Kleinen immer wieder versuchen können. Mit dem Vertrauen darauf, dass es reicht.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne, in Christus Jesus. Amen.