Ein kleines Licht am 15. Mai

Der Küster und seine Kirche

Mitte der 2000er Jahre dachten mein lieber Kollege Michael Ketzenberg und ich: „Es wäre doch cool, vom Kirchenkreis eine Freizeit für Jugendliche anzubieten, die nicht viel kostet“.

Gesagt, getan. Michael Ketzenberg hatte jahrelang in Demmin als Diakon gearbeitet. Er kannte sich in der Gegend aus und hatte die richtige Idee: „Lass uns eine Paddeltour in Vorpommern machen“. Wir liehen uns zwei Bullis vom Kirchenkreis und mieteten uns sechs Kanus. Noch Proviant besorgt, dann ging‘s los.

Raus aufs Wasser und los gepaddelt: Auf der Trebel und der Tollense und der Peene. Oder wie die kleinen Flüsse da so heißen.

Geschlafen haben wir in Zelten, meistens irgendwo direkt am Ufer. Gegessen haben wir am Morgen Brötchen und am Abend irgendwas aus der Dose, was wir auf dem Campingkocher aufgewärmen konnten. Dazwischen gab es Äpfel, Stullen und Gummibärchen.

Der Tagesablauf war ähnlich schlicht: Morgens aufstehen, Andacht, Frühstück, Zelte abbauen und in den einen Bulli verladen. Dann fuhren Michael und ich mit beiden Autos los. Wir brachten den Bulli mit den Zelten an den Zielort für den Abend und wir fuhren mit dem anderen Bulli wieder an unseren Ausgangsort zurück.

Paddeln, paddeln, paddeln bis zum späten Nachmittag.

Am Zielort haben wir die Zelte aus dem Bulli ausgeladen. Die Jugendlichen bauten alles auf. Michael und ich fuhren in der Zwischenzeit mit dem Bulli zum Startort zurück. Wir holten den zweiten Bulli und fuhren wieder zu den Zelten.

Abendessen: 13 Dosen Kartoffelpamps mit Klößen. Mit Hunger schmeckt das wunderbar. Und Hunger hatten wir vom feinsten.

Abendandacht. Noch was erzählen am Lagerfeuer. Ab ins Zelt und schlafen bis zum Morgen. Müde genug waren wir auch.

Einmal sind wir auch ein bisschen durch die Stadt gebummelt. Einmal waren wir in Stralsund im Spaßbad – dem besten Spaßbad der Welt. Aber eigentlich war auch das Freizeitprogramm ziemlich einfach. Das einzige worauf Michael wert gelegt hatte: Jeden Abend für die Abendandacht besuchten wir eine andere kleine Dorfkirche, die in der Nähe lag.

Und die eine Kirche davon, beziehungsweise deren Küster war das beeindruckendste und tollste, was ich auf all diesen Paddeltouren je erlebt habe. (Natürlich mit Ausnahme von dem mördergutem Wildwasserbach im Stralsunder Spaßbad!)

Ich weiß nicht mehr wie der Ort oder die Kirche hießen, weil Michael alle Telefonate geführt und auch den Schlüssel für die Kirche abgeholt hatte. Auf jeden Fall war es eine besonders hübsche Kirche mit auffällig schicken Deckengemälden und jede Menge Holzschnitzereien.

Wir feierten eine nette kleine Andacht und als wir fertig waren, kam auch der Küster. Der wollte noch ein paar Worte über seine Kirche erzählen und dann hinter uns abschließen. Er war ein freundlicher, netter, ziemlich rüstiger Rentner.

Und dann erzählte er uns, dass diese Kirche vor ein paar Jahren noch vom Einsturz bedroht gewesen war. Vom Altarraum aus konnte man durch das Dach direkt in den Himmel schauen. So groß waren die Löcher in der Decke.

Die Malereien waren zum größten Teil abgebröckelt oder kaum noch zu erkennen gewesen. Die Bänke und die Schnitzereien am Chorgestühl waren zum Teil kaputt oder mussten restauriert werden.

Aber die Landeskirche hatte kein Geld für nichts. Eine große Gemeinde gab es auch nicht. Eigentlich hatte man vorgehabt, die Kirche still und heimlich verfallen zu lassen.

Doch das wollte dieser Mann nicht zulassen. Er trommelte alle Leute aus dem Dorf und aus der Umgebung zusammen.

Wenn dann irgendwo in der Nähe ein Dach gedeckt werden sollte, wurde der Dachdeckerbetrieb belatschert, dass er auch ein paar Schindeln für das Kirchendach spenden sollte. Überhaupt ging man von Haus zu Haus und sammelte Geld für die Kirche. Als man alles zusammen hatte, packte jeder mit an und das Dach wurde in Eigenleistung neu gemacht.

Für die Deckengemälde wurden Studenten in das Dorf geholt. Junge Frauen und Männer, die Kunst und Restauration studierten. Die machten in dem Dorf ihr Praktikum und durften dafür in einer Ferienwohnung wohnen und wurden verpflegt. Der Küster war jeden Tag mit auf der Baustelle. Als die Studentinnen und Studenten wieder abreisten, wusste er wie‘s geht und hat zwischen den Praktika weiter gemalt.

Ähnlich mit den Holzschnitzern: Der Küster hat sich die Kniffe für die einfacheren Arbeiten zeigen lassen. Jetzt mussten die Profis nur noch die schwierige Arbeit machen.

Als die Kirche einigermaßen hergerichtet war, wurden erste Gottesdienste gefeiert. Und weil die Leute natürlich auch mal sehen wollten, wie ihre Kirche jetzt so aussah, kamen auch mehr Leute in die Gottesdienste als zuvor. Dazu die Konzerte. Auf den Konzerten konnte man was für die Kirche spenden und die Leute gaben viel und gerne.

Noch war längst nicht alles fertig, aber ich glaube, darauf kam es gar nicht an. Ich glaube sogar, der Küster oder seine Gemeinde hätten mit einer fertigen Kirche gar nicht viel anfangen können. Mit einer Kirche, an der man nicht mehr arbeiten kann. Auf jeden Fall, wenn dieser Mann erzählte, dann leuchteten seine Augen. Dann glühte er vor Freude und vor Feuereifer. Das sprang über. Später am Lagerfeuer redeten wir bis in die Nacht von diesem besonderen Menschen.

In der Bibel gibt es eine Stelle, an der Jesus über seinen Jünger Petrus sagt: „Auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen!“ Nun war Petrus offenbar so eine Art Anführer unter den Jüngern. Später soll er auch der erste Bischof in Rom gewesen sein. Die katholische Kirche leitet bis heute daraus eine besondere Bedeutung des Papstes ab. Vielleicht war Petrus aber auch einfach so ein Macher-Typ wie dieser Küster aus dieser großartig renovierten Kirche in Vorpommern.

Einer, der nicht jammerte oder wartete, bis andere was tun. Einer mit einem großen Herz und mit Ideen, der andere mitreißen kann. Mit viel Liebe zu seiner Kirche, der sich von Schwierigkeiten nicht abschrecken lässt. Ein Mensch, der erkennt, wo er gebraucht wird, und der das Unmögliche möglich macht.

Auf so einen Fels kannst du eine Kirche bauen. Gar keine Frage.

Das neunundfünfzigste kleine Licht.

Bleiben Sie gesund oder werden Sie gesund.

Ihr Pastor Jörg Prahler

Das “kleine Licht” erscheint jeden Abend auf der Startseite von Evangelisch-im-Wendland.de und auf der Homepage der Kirchengemeinden Damnatz, Langendorf und Quickborn. Sie können diese Andacht, diesen Impuls oder Gedanken gut in ein Abendgebet einbauen. In Damnatz, Langendorf und Quickborn läuten dazu jeden Abend, außer am Wochenende von 19.15 bis 19.20 Uhr die Glocken. Für das Abendgebet können Sie eine Kerze anzünden. Die Kerze können Sie danach um 19.30 Uhr auf ein Fensterbrett in Richtung Straße stellen. Das ist ein Zeichen der Hoffnung, dass sich zur Zeit ganz viele Menschen in Lüchow-Dannenberg gegenseitig geben.

Meine Oma hat aber gar kein Internet”? Aber du! Es ist ausdrücklich erlaubt, diese Beiträge auszudrucken, zu verschicken, zu teilen oder zu verlinken. Gebt sie gerne an alle weiter, die sich darüber freuen und vor allem an die, die sonst keine Zugang dazu hätten.

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