Kleine Predigt für den dritten Sonntag nach Ostern

Ich bin eine Rebe
Eine Lesepredigt von Heike Sieberns, Vikarin in Damnatz, Langendorf und Quickborn

Ich lasse mir nicht gerne Sachen abnehmen, wenn ich sie genau so gut selber machen kann. Wenn ich beispielsweise mit meinem vollgepackten Rucksack aus dem Zug aussteige, schaffe ich die letzten Meter bis zum dem Auto, das mich netterweise abholt, auch noch alleine. Schließlich bin ich vorher ohne fremde Hilfe von meiner Wohnung bis zum Bahnhof gekommen, habe meine Rucksack durch mehrere enge Bahnabteile getragen und drei Umstiege erfolgreich hinter mich gebracht. Dass ist natürlich nett gemeint, wenn mir dann mein Abholservice den Rucksack abnehmen möchte. Aber wirklich notwenig ist das nach so einer Tour auch nicht. 

Als ich noch klein war, gab es bei mir zu Hause für Tagesausflüge die Regel: „Was du tragen kannst, darfst du mitnehmen.“  Eine gute Regel, wie ich finde. Wenn ich etwas möchte, muss ich erstmal schauen, ob ich das packen kann. Ich kann nicht blind davon ausgehen, dass mir irgendwer zu Hilfe eilen wird, wenn ich mich überschätzt habe. Ich möchte selbstständig und nicht auf andere angewiesen sein. Weil ich kein Mäuschen bin, der die Tasche nachgetragen werden muss.

Evangelium nach Johannes 15
1 Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Weinbauer. 2 Jede Rebe an mir, die nicht Frucht bringt, nimmt er weg, und jede, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie noch mehr Frucht bringt. 3 Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich euch gesagt habe. 4 Bleibt in mir, und ich bleibe in euch. Wie die Rebe aus sich heraus keine Frucht bringen kann, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so könnt auch ihr es nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt. 5 Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht, denn ohne mich könnt ihr nichts tun. 6 Wer nicht in mir bleibt, wird weggeworfen wie die Rebe und verdorrt; man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und sie verbrennen. 7 Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, dann bittet um alles, was ihr wollt, und es wird euch zuteil werden. 8 Dadurch wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und meine Jünger werdet.

Als ich den Predigttext für heute laß, war ich erstmal bisschen motzig. Denn darin steht der Satz „ohne mich könnt ihr nichts tun“.  Ich hatte den Satz gar nicht erwartet. Als ich den ersten Satz der Geschichte gelesen hatte, ging mir durch den Kopf: „Ach, die Geschichte. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Nette Geschichte.“ Aber als ich beim zweiten Satz war, musste ich schon stutzen. „Was ist denn das für ein Leistungsdenken? Jede Rebe, die nicht Frucht bringt, nimmt er weg. Bin ich denn erst etwas wert, wenn ich etwas geleitet habe? Das entspricht doch überhaupt nicht meinen Werten! Und es widerspricht meiner theologischen Auffassung. Dass ich nicht erst was tun muss, um gesehen zu werden, ist doch die Erkenntnis Martin Luthers gewesen. Ich bin eine liebenswerte Person, auch wenn ich nicht immer „hier“ schreie und überall mitmischen will. Und wenn ich das doch tue und es gelingt mir nicht, ist das auch in Ordnung. Mir darf mal was daneben gehen. Fehler passieren. Ständig. Ich brauche gar nicht versuche, davor wegzulaufen. Ich muss es jetzt auch nicht darauf anlegen. Das wäre auch nicht richtig. Aber es geht eben nicht darum, was ich mache, sondern wer ich bin.

Jede Rebe, die nicht Frucht bringt, nimmt er weg, weil sie es nicht wert ist. Das kann unmöglich die Aussage sein! Nein. Auf keinen Fall ist das die Aussage.“

Ich war dann grummelig. Vielleicht sogar wütend. Was sollen denn diese Sätze in diesem Text? Ich habe die Bibel zurück ins Regal gestellt. Dort hin, wo sie zwischen den anderen Büchern verschwindet. Die Sätze schwirrten mir aber trotzdem durch den Kopf. Wut kann man eben nicht einfach zur Seite legen. Die ist einfach da. Egal ob der Grund für meine Wut vor meiner Nase herumtanzt oder hinter verschlossener Tür liegt.

Also doch wieder der Griff zum Bücheregal, Bibel auf den Tisch und nochmal reinschauen.

Ich möchte meinen Rucksack selbst zum Auto tragen und ich möchte mir auch nicht sagen lassen „ohne mich könnt ihr nichts tun“. Denn das mit dem Rucksack und auch einiges anderes kann ich sehr wohl ohne irgendjemanden tun! Und eigentlich geht es auch nicht darum, was ich tue, sondern darum, wer ich bin.

Wer ich bin. Ich bin… Ich bin… damit beginnt diese Geschichte. „Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater ist der Weinbauer.“ Jesus stellt sich mir vor. Und zwar durch ein Bild. Er ist der wahre Weinstock. Dieses knöcherne Gehölz, das in den steilen Hanglagen wächst. Der Weinbauer ist sein Vater. Das hätte Gott sich aber leichter machen können. Zum Beispiel als Weinverkoster. Bisschen am Glas schlürfen und dann die eigene Meinung zum Besten geben. Klingt für mich nach dem leichteren Job. Aber gut, das wollte Gott wohl nicht. Dann halt der Weinbauer, der das Gras zwischen den Weinstöcken kurz halten muss. Der ständig nach den Reben schauen muss, um die fauligen herauszuschneiden. Das ist mühsam und erfordert viel Geduld und Ausdauer. Viel Arbeit. Viel Arbeit für die Reben. Viel Arbeit für mich. Ich bin eine Rebe. Eine Rebe, die nur an einem Weinstock wachsen kann. Ohne Weinstock geht es nicht. Der Weinstock hat seine Wurzeln tief in den Erdboden geschlagen. Das gibt ihm zum einen festen Stand, zum anderen aber den Zugang zu Wasser und Nährstoffen. Die braucht der Weinstock zum Wachsen. Die Reben brauchen das Wasser und die Nährstoffe ebenfalls. Vielleicht sogar mehr, als der Weinstock. Aber ohne den Weinstock, wären die Reben aufgeschmissen. Denn der Weinstock sorgt dafür, dass Wasser und Nährstoffe bei den Reben ankommen.

Die Rebe existiert nicht einfach für sich allein. Sie hängt am Weinstock, der nur eins möchte: Strahlende Reben zum Vorschein bringen. Sie hängen am Weinstock mit anderen Reben zusammen. Dort wird sie gehalten und dort bekommt sie, was sie braucht, um eine gute Rebe zu werden. Das sieht die Rebe nicht immer. Wie soll sie es auch aus ihrer Perspektive. Sie spürt, was bei ihr ankommt und das fühlt sich gut an.

Ich existiere nicht einfach für mich allein. Ich hänge an Christus, der nur eins möchte: Strahlende Menschen zum Vorschein bringen. Sie hängen an Christus mit anderen Menschen zusammen. Dort werde ich gehalten und dort bekomme ich, was ich brauche, um ein guter Mensch zu werden. Das sehe ich nicht immer. Wie soll ich auch aus meiner Perspektive. Ich spüre, was bei mir ankommt und das fühlt sich gut an.

Ich kann ja ruhig meinen Rucksack selber tragen. Ich kann ja versuchen selbstständig sein. Aber eigentlich kann ich das auch nur, weil ich die Möglichkeit dazu habe.
Meine Selbstständigkeit habe ich, weil ich in Deutschland lebe. In Saudi-Arabien dürfte ich zum Beispiel nicht Autofahren, weil das dort nur Männer dürfen. Ich kann mich selbst ernähren und bin nicht vom Verdienst eines Mannes abhängig, wie es meine Großmutter war.

Das sind die Dinge, die ich sehen kann. Es sind die Gegebenheiten um mich herum. Für den Weinstock und die Reben würden sich diese äußeren Umstände in der guten Hanglage und in der Beschaffenheit des Bodens ausdrücken. Die sind auch wichtig. Und dann gibt es da noch den Weinbauern. Der, der kein Weinverkoster geworden ist. Der, der scheinbar lieber diese anstrengende Arbeit macht. Gott. Er behält alles im Blick, damit die Reben gut wachsen können.

Hinter diesem Bild vom Weinstock, dem Weinbauern und den Reben verbirgt sich keine Beschreibung der einen wahren Wirklichkeit.  Diese Worte sind ein Bekenntnis. Ein Bekenntnis von Menschen, die in Gott und Christus die Kraft ihres Lebens gefunden haben. Es sind Menschen, die von der Botschaft des auferstandenen Christus ergriffen worden sind. Die darin gesehen haben, dass das Gelingen ihres Lebens nicht allein bei ihnen liegt. Sie verdenken es Christus und Gott. Daran glauben sie.

Starke Worte für ein Bekenntnis. Starke Worte, die mich wütend gemacht haben. Aber warum machen mich solche Worte wütend? Ich könnte sie auch einfach links liegen lassen.
Ich glaube, diese Worte berühren mich. Dieses Bekenntnis berührt mich. Da gibt es Menschen, die die Stärke besitzen, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen. Menschen, die nicht glauben, alles selbstständig machen zu können.
Mir fällt das schwer. Aber ich bewundere die Menschen für ihr deutliches Bekenntnis.
Ich war nicht auf den Text wütend. Ich war wütend, weil ich diese Aussage für mich nicht treffen kann. Oder weil ich sie nur manchmal treffen kann.

Ich bin ein Rebe. Vielleicht muss ich mir das einfach mal gesagt sein lassen. Ich bin eine Rebe. Eine Rebe an einem Weinstock.

 

Sonntags und an Feiertagen finden Sie einen anderen Gebetsablauf und eine kurze Predigt auf dieser Seite und auf den Seiten der Kirchengemeinden Damnatz, Langendorf und Quickborn. Sie können mit Hilfe dieses Ablauf allein oder mit der Familie einen Gottesdienst feiern. Für all das läuten als Startsignal von 10 bis 10.15 Uhr die Glocken in allen drei Kirchen.

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